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Verlust der Biodiversität: Was bedeutet es für uns?
#Nachhaltigkeit #Biodiversität

Verlust der Biodiversität: Was bedeutet es für uns?

Adolf Winkler
05 Mai
6 min. read
Wir erleben das sechste Artensterben. Mag. Dr. Horst Groß schlägt über den Verlust der Biodiversität Alarm. Erfahren Sie, wie sich das Artensterben auf die Menschheit auswirkt und was eine besondere Schnecke damit zu tun hat.
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Im Gespräch mit Adi Winkler zeigt er Wege zur Umkehr auf: „Jeder kann etwas beitragen.“ Die Kärntner Sparkasse und Feldkirchner Sparkasse wollen dafür das Bewusstsein schärfen.

Wir haben uns gedacht, über Biodiversität reden wir in Klagenfurt am besten am Lendspitz, einem Natura-2000-Schutzgebiet im Stadtgebiet.
HORST GROSS: Ja, es ist ein besonderes, stadtnahes Schutzgebiet. Hier gibt es 989 nachgewiesene Arten, einige davon charakteristisch und schützenswert, sowie 8 verschiedene Habitate – also Lebensräume. Und wir finden hier eine ganz besondere Art: die Bauchige Windelschnecke.

GROSS: Das Modell dieser Schnecke wurde vom kärnten.museum nachgebaut, tatsächlich ist sie nur 1,2 Millimeter groß.

Eine Kostbarkeit als Zeichen der Biodiversität. Wie definieren Sie diese?
GROSS: Biodiversität bedeutet Artenvielfalt. Heute erleben wir leider einen dramatischen Verlust der Artenvielfalt. Die Artenvielfalt ist aber die Grundlage unseres Lebens. Das Netz des Lebens besteht aus verschiedenen Biotopen, die zusammenwirken und das produzieren, was wir brauchen: fruchtbare Erde, reines Wasser und saubere Luft.

Deshalb sprechen wir bei Biodiversität nicht nur vom Schutz der Arten, sondern auch von der schonenden Nutzung der Arten und der fairen Verteilung dieser Nutzung.
GROSS: Genau! Die Natur erbringt eine Biodiversitätsleistung für die Menschen, sie produziert kostenlos das, was wir zum Leben benötigen. Das haben wir der Natur aber vielfach genommen. Wir haben die Natur genutzt, ohne viel darüber nachzudenken. Der Mensch hat im Anthropozän die Natur so ausgebeutet, dass sie darunter leidet. Dabei sind wir ja selbst Natur. 

“Spätestens wenn wir krank sind, merken wir am Körper, dass wir Natur sind und dass wir Produkte aus der Natur brauchen, um wieder gesund zu werden.”

Prof. Dr. Horst Peter Groß

Wissenschafter sagen, das Anthropozän, das Erdzeitalter der Menschheit, wird einmal als das Zeitalter mit der größten Zerstörung der Artenvielfalt in die Erdgeschichte eingehen. Eine schändliche Bilanz für die Menschheit?
GROSS: Wir erleben das sogenannte sechste Artensterben. Das Schlimme daran ist, dass es vom Menschen verursacht ist. Der Mensch ist erdgeschichtlich gesehen erst seit drei Sekunden auf der Welt, aber er hat es geschafft, das größte Artensterben zu verursachen: und zwar durch seine Art und Weise zu wirtschaften und zu leben. Besonders alarmierend ist, dass der Verlust der Artenvielfalt nicht nur regional begrenzt geschieht, sondern global, also überall auf unserem Planeten, und das gleichzeitig.

Dabei schätzen Wissenschafter den Wert der Biodiversitätsleistung von der Ernährung bis zur Gesundheit jährlich auf unzählige Billionen Euro. Allein dieser Wert muss doch mahnen, die Natur zu schützen!
GROSS: Das Tragische ist, dass der Mensch erst dann reagiert, wenn es ihn selbst betrifft und ihm das Wasser bis zum Hals steht. Wenn wir über Umweltkonferenzen oder Klimawandel-Auswirkungen wie Starkwetterkatastrophen nur im Fernsehen sehen, dann berührt uns das zu wenig, weil es uns noch zu gut geht. Wenn im Frühjahr die Natur aufblüht, glauben wir, dass alles in Ordnung ist. Das Artensterben passiert jedoch leise. Wir merken gar nicht, wie viele Lebewesen und Arten aussterben, weil sie teilweise so klein sind wie die Bauchige Windelschnecke.

Welche Arten stehen auf der Roten Liste in Österreich ganz oben?
GROSS: Das kann ich nicht sagen. Das Schlimmste ist, dass wir die Insekten in dramatischem Ausmaß verlieren, denn diese sind die Nahrungsgrundlage für Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Fledermäuse, das heißt also – für unglaublich viele Arten in der Nahrungskette. Auch in Österreich sind in den letzten 30 Jahren 60 Prozent aller Insekten verschwunden.

Auf der Roten Liste gibt es mehrere Kategorien von „vom Aussterben bedroht“ bis „stark gefährdet“ und „gefährdet“. Alle zusammengenommen sind in Österreich rund ein Viertel aller Säugetiere, ein Drittel aller Fische, die Hälfte aller Vögel und zwei Drittel aller Kriechtiere als Arten bedroht. Erschreckend für Österreich, das sich als Naturland wähnt.
GROSS: Ja, das ist erschreckend. Dadurch, dass es bei uns so schön zu sein scheint, fällt das nicht auf. Am schwerwiegendsten ist, was wir im Boden verlieren. In einer Faust fruchtbaren Bodens haben wir mehr Mikroben als Zellen, aus denen wir als Menschen bestehen. Die Humusschicht der Erde, die Grundlage unseres Lebens, ist dünner als die Apfelschale.

Die EU hat eine Biodiversitätstrategie bis 2030, auch Österreich hat eine solche entwickelt, doch es gibt massive Kritik vom Biodiversitätsrat, dass wir weit von der Erfüllung entfernt sind. Für den Straßenbau wird in den Länderbudgets – auch in Kärnten – noch immer ein Vielfaches dessen für den Naturschutz ausgegeben.
GROSS: Weil die Politik noch nicht weit genug blickt, ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft die Verantwortung mit übernimmt. Jeder kann etwas beitragen. Da müssen wir bei uns selbst anfangen und die Politik animieren, verstärkt einzugreifen.

Kärnten schildert immerhin zwei große Vorbildprojekte aus, mit dem Biosphärenpark Nockberge und mit dem Nationalpark Hohe Tauern, der übrigens als Schenkung auf die Kärntner Sparkasse zurückgeht und ohne diese nicht denkbar wäre.
GROSS: Die Kärntner Sparkasse hat den Nationalpark Hohe Tauern darüber hinaus auch jahrzehntelang bei vielen Projekten unterstützt, zuletzt massiv beim Haus der Steinböcke, um Bewusstsein für die Natur zu schärfen. Das Problem ist, dass wir in der ersten Aufklärung die Natur verobjektiviert, also außer uns gestellt haben. Jetzt brauchen wir eine neue Aufklärung, mit der die Vernunft, die zum Kalkül geworden ist, wieder mit der Natur in Einklang zu bringen ist. Das ist die große Herausforderung, und dabei müssen wir mit sozialen Projekten in Richtung Naturschutz bei den Kindern ansetzen – in den Gemeinden, in den Regionen, in denen wir Einfluss nehmen können.

Welchen globalen Anschub darf man sich vom Durchbruch auf der Naturschutzkonferenz im Dezember 2022 in Toronto erwarten, auf der 196 Staaten, ausgenommen die USA und der Vatikan, ein weltweites Abkommen unterzeichneten? Ein großes Ziel ist ja, dass bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Erd- und Meeresoberfläche unter Schutz gestellt werden. Ist das – auch in Österreich – erreichbar?
GROSS: Die Erfahrung zeigt uns, dass das kaum erreichbar sein wird. Wir müssen es aber erreichen. Die Uhr ist nicht mehr auf 5 vor 12, es ist schon fast zu spät. Aus diesem Grund ist auch die Biodiversitätsinitiative der Kärntner Sparkasse und der Feldkirchner Sparkasse so wichtig: um zu zeigen, dass wir selbst etwas tun können. Wir glauben seit dem Gründungsdekret an die Menschen, an die Machbarkeit, an die Vielfalt. Die Sparkasse steht für Sicherheit, für Wohlstand und Vorsorge und ist für alle Zielgruppen da, auch für ärmere Menschen, um gut leben zu können. Darum geht es doch eigentlich: um das gute Leben für alle.

Das trifft sich mit einem weiteren Ziel des Abkommens von Toronto, dass die reichen Saaten die ärmeren Länder der südlichen Halbkugel jährlich mit 25 Milliarden US-Dollar für Naturschutzmaßnahmen unterstützen, was bis 2030 auf 30 Milliarden im Jahr steigen soll.
GROSS: Die Welt braucht diesen sozialen Ausgleich unbedingt. Es ist meiner Meinung nach sogar noch zu wenig, wenn man sieht, wie viel die Rüstungsindustrie ausgibt oder wie die Ölindustrie noch immer mit Steuererleichterung gefördert wird. Viele Kostenblöcke in den reichen Staaten müssen ganz anders eingesetzt werden.

Das dritte und vielleicht schwierigste Toronto-Ziel ist, von den devastierten und verbrauchten Flächen der Erde zu Land und zu Wasser bis 2030 mindestens 30 Prozent wieder zu renaturisieren. Ohne dies wird auch der Klimawandel nicht zu bewältigen sein.
GROSS: Das ist gewiss das Schwierigste, aber es ist machbar. Es wird auch in Zukunft eine Wirtschaft geben, die nicht CO2-neutral ist. Aber jedes CO2, das freigesetzt wird, müsste für die Renaturisierung eingesetzt werden bzw. die Wirtschaft klimaneutral umzubauen helfen. Dieser kleine Teil des CO2-Ausstoßes, der immer bleiben wird, könnte kompensiert werden, indem Unternehmen in dieser Höhe auch zur Renaturisierung beitragen. Einfache Beispiele: Neben Liftanlagen Blumenwiesen anlegen oder pestizidbelastete Ackerflächen für die Biolandwirtschaft zurückzugewinnen. Aus einer Kärntner Studie wissen wir, dass es beim Maisanbau 30 Jahre dauert, bis sich der Boden erholt, wenn man ihn „brach“ lässt. Mit aktiven Artenschutzmaßnahmen können wir die Klimaveränderung etwas besser bewältigen, weil uns ebendiese Ökoleistungen der Natur helfen. Wenn eine Stadtfläche zu zwei Drittel mit Bäumen bepflanzt wäre, würde das die Temperatur um zwei Grad senken. Wir können den Klimawandel höchstwahrscheinlich nicht mehr aufhalten, aber wir können ihn besser bewältigen, wenn wir uns auch für die Erhaltung der Artenvielfalt massiv einsetzen.

Zum Abschluss stimmt uns hier im Schutzgebiet am Lendspitz ein Vogelgezwitscherkonzert zuversichtlich.
GROSS: Ja, beim GEO-Tag 2015 wurden hier 44 verschiedene Vogelarten festgestellt, doch das Natura-2000-Schutzgebiet Lendspitz-Maiernigg ist auch eine Zwischenstation für Zugvogelarten. Es sind zwar nur 77 Hektar, ein kleiner Fleck, aber bei diesem GEO-Tag haben 45 Wissenschafter aus Kärnten das Gebiet 24 Stunden lang durchforstet und, wie bereits gesagt, 989 Arten festgestellt. Gegenüber von hier liegt der Europapark, der von der Artenvielfalt her vergleichsweise eine tote Zone ist, obwohl der Park wunderschön ist.

Erfahren Sie hier mehr zum Thema Biodiversität

#glaubanvielfalt

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