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Artensterben: Jede zweite Art mit einem oder beiden Beinen im Grab
#Nachhaltigkeit #Biodiversität

Artensterben: Jede zweite Art mit einem oder beiden Beinen im Grab

Adolf Winkler
16 August
3 min. read
„Kärntens Artenvielfalt ist faszinierend“, sagen DI Dr. Christina Pichler-Koban und Mag. Dr. Christian Komposch. Doch die beiden schlagen zum Artenschutz auch eindringlich Alarm. Laut der neuen „Roten Liste“ für Kärnten seien 49 Prozent der Tierarten gefährdet.
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Von 195 Vogelarten in Kärnten sind 50 Prozent gefährdet, von 61 Fischarten sind 48 Prozent bedroht, von 717 Spinnenarten sogar 67 Prozent. Das sind nur drei der alarmierenden Werte, die Mag. Dr. Christian Komposch vom ÖKOTEAM – Institut für Tierökologie und Naturraumplanung mit 77 weiteren Forscher:innen brandaktuell für die „Rote Liste gefährdeter Tiere Kärntens“ zusammengetragen hat (siehe Tabelle unten).

„Auf der einen Seite haben wir eine riesengroße Freude, das Werk vorzulegen, das zeigt, wie viele Schätze und Besonderheiten in Kärnten vorkommen. Die Zahlen der Gefährdung tun aber unheimlich weh. Dass die Hälfte der Arten mit einem oder beiden Beinen im Grab steht, ist alarmierend“, erklärt der aus Villach stammende Biologe und Zoologe Komposch, der auch am Institut für Biologie an der Universität Graz und der FH Kärnten lehrt.

Spielerische Modelle gegen Staudenknöterich

„Bei den Pflanzen sind 39 Prozent gefährdet. In Kärnten, wie in ganz Österreich, bräuchten wir einen deutlich größeren Anteil an Schutzgebietsflächen“, bekräftigt die Landschaftsplanerin und -ökologin DI Dr. Christina Pichler-Koban von E.C.O. – Institut für Ökologie in Klagenfurt, eine ausgewiesene Expertin für Schutzgebiete und deren Geschichte in Zentraleuropa. Sie ist auch Mitglied im Österreichischen Biodiversitätsrat und an der Universität Klagenfurt im Rahmen des Educational Labs in der Sustainability- Lab- Ausbildung „Sustainable Development” für interdisziplinäre Studierende engagiert.

„Wir verbinden die Studierende mit der Praxis.“  Mit „Sparkling Science“, spielerischen Modellen, arbeiten Studierende beispielsweise an der Eindämmung des Japanischen Staudenknöterichs. Schwer sei es aber, junge Leute für Zoologie zu begeistern, Menschen zu gewinnen, die sich mit Tiergruppen auskennen. „Für wissenschaftliche Grundlagen und Erhebungen von Daten“, mahnt Pichler-Koban, „fehlt das Geld.“

“Interessierte junge Menschen können sich in ein Thema verbeißen. Sie müssen merken, dass Biodiversität etwas mit ihnen zu tun hat.”

DI Dr. Christina Pichler-Koban

1.000 Buchseiten zur Roten Liste Kärntens.

Umso höher ist der Stellenwert der von 78 Mitarbeiter:innen unter Projektleitung von Christian Komposch auf mehr als 1.000 Buchseiten beschriebenen Erhebungen für die „Rote Liste gefährdeter Tiere Kärntens“ (Verlag: Naturwissenschaftlicher Verein für Kärnten) einzuschätzen. In den letzten Monaten wurde Tag und Nacht daran gearbeitet. 55 Tiergruppen- Spezialist:innen waren beteiligt, ein Großteil der Zoologie-Kompetenz Mitteleuropas war versammelt, berichtet Komposch, selbst Experte für Spinnen, Weberknechte, Skorpione und Fische. Vom kärnten.museum hat Dr. Christian Wieser das riesengroße Kapitel mit den rund 3.000 Schmetterlingsarten in Kärnten bearbeitet. „Für die Rote Liste waren Kolleg:innen Jahre und Jahrzehnte in tausenden Arbeitsstunden unterwegs, um unbezahlt und ehrenamtlich diese Daten zusammenzutragen. Es fehlt an bezahlten Auftragsprojekten zur Forschung“, mahnt auch Komposch. Die letzte große Gefährdungsbilanz in Kärnten stamme aus dem Jahr 1999, den jetzigen Status müsse man alle fünf bis zehn Jahre erheben, um der Veränderungen gewahr zu sein. Laut der aktuellen Roten Liste finden sich 49 Prozent aller Tierarten in Kärnten in einer der vier Gefährdungsstufen und sind damit akut bis mittelfristig vom Verschwinden bedroht. 

“Leider ist auch nicht absehbar, dass es den Arten in nächster Zeit besser gehen wird, wenn man die Ressourcen für den Naturschutz und die Wissenschaft sieht.”

Mag. Dr. Christian Komposch

Vom Wert der Spinnen.

Natürlich denke man bei bedrohten Arten zuerst an Vögel und Säugetiere, es gibt aber Tiergruppen, die noch viel stärker gefährdet sind, wie die Muscheln (23 Arten), von denen 78 Prozent bedroht sind, die Weberknechte (56 Arten), von denen 70 Prozent gefährdet sind, wie auch die Skorpione. Auch Köcherfliegen, Amphibien und, Reptilien haben einen höheren Gefährdungsanteil als etwa die Vögel. „Generell geht es allen Tiergruppen nicht gut. Von einem nachhaltigen Umgang mit der Natur können wir nicht sprechen“, erklären Komposch und seine Kollegin im ÖKOTEAM Graz, Julia Lamprecht, MSc. Die Biologin mit Schwerpunkt Herpetologie (Amphibien und Reptilien), ist wie Komposch auch eine Expertin für Spinnen. Die 717 Spinnenarten in Kärnten sind mit einem Anteil von 67 Prozent gefährdeter Arten besonders bedrohte Mitbewohner Kärntens. „Ohne Spinnen funktioniert das ganze Ökosystem nicht mehr. Im Jahr fressen Spinnen weltweit 400 bis 800 Millionen Tonnen an Fliegen, Gelsen und Mücken. Der Mensch erzeugt 400 Millionen Tonnen Fleisch. Eine Welt ohne Spinnen wäre nicht mehr lebenswert. Viele Spinnenarten leben im Wald, aber auch den Waldarten geht es nicht gut, etwa weil im Wald Altbäume und Totholz fehlen“, ermahnt Lamprecht.

“Eine Welt ohne Spinnen wäre nicht mehr lebenswert.”

MSc. Julia Lamprecht

Arten unserer Gärten weitgehend verschwunden.

Vergleiche man die jetzigen Daten mit der Roten Liste von 1999, – „kann man sagen, dass der Anteil an bedrohten Arten in diesen beiden Dekaden um weitere 9 Prozent gestiegen ist“, erklärt Komposch. „Besonders bei Tieren im Lebensraum Wasser passiert viel, vor allem bei den Amphibien“, betont Lamprecht. „Früher hörte man noch den Laubfrosch in den Dörfern und sah die Gelbbauchunke an jedem Tümpel. Man sah in Gärten noch Zauneidechsen, die kann man jetzt kaum noch beobachten.“ Komposch präzisiert: „Unser Zugang ist, festzustellen, wann die Population einer Tierart so reduziert wurde, dass die Art ihre Funktion im Naturhaushalt, ihre Ökosystem-Dienstleitung, nicht mehr erfüllen kann. Ob Käfer, Wanzen, Spinnen, selbst die allgegenwärtigen Arten unserer Gärten und Kulturlandschaft sind weitgehend verschwunden.“

Kärntens Artenreichtum lohnt den Kampf.

Komposch und Lamprecht vom ÖKOTEAM sind gemeinsam mit Pichler-Koban von E.C.O. –Institut für Ökologie (gegründet von Mag. Dr. Michael Jungmeier, 20 Mitarbeiter:innen unter Leitung des Waldbiologen Mag. Dr. Hans Kirchmair) auch die Veranstalter des jährlichen GEO-Tages der Artenvielfalt im Biosphärenpark Nockberge, wo Forscher:innen mit interessierten Lai:innen 24 Stunden lang Arten beobachten und erheben. „Wir kommen dabei auf rund 1.000 Arten“, erzählt Pichler-Koban, die Jung und Alt zum Artenschutz ermuntert: „Man soll sich nicht entmutigen lassen. Jede und jeder kann sich zum Naturschutz ein Thema zum Engagieren aussuchen und sich ein Bewusstsein für nachhaltige Verhaltensweisen schaffen.“ Christian Komposch bekräftigt leidenschaftlich: „Man darf die Hoffnung nicht verlieren, Kärnten hat eine viel höhere Biodiversität als andere Bundesländer. Der Kampf dafür zahlt sich immer aus. Die biologische Vielfalt und intakte Ökosysteme sind unsere Lebensgrundlage. Wir Biolog:innen sehen all die Schönheit, es ist ein noch so unentdeckter Kosmos. Um Neues und Faszinierendes zu finden, müssen wir nicht unbedingt in die tropischen Regenwälder fliegen, sondern müssen nur auf unsere Kärntner Berge, Höhlen, Flüsse, Wiesen und Wälder schauen.“

Rote Liste gefährdeter Tiere Kärntens

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