Biodiversität retten: „Es geht um Harmonie von Mensch und Natur“
„Wir müssen erkennen, dass Natur an sich einen Wert hat “, sagt Dr. Alice Vadrot. Die Assoziierte Professorin für Internationale Beziehungen und Umwelt an der Universität Wien ist eine renommierte Forscherin und Expertin zum Weltbiodiversitätsrat. Im Zuge der Veranstaltung „Biodiversitätskrise?“ des Vereins "Landschaft des Wissens“, welche die Kärntner Sparkasse AG unterstützt hat, betonte sie die Bedeutung der Schutzgebiete: „Bei Biodiversität geht es um das Verhältnis Mensch und Natur.“ Den Wert einer solchen Harmonie erlebte Alice Vadrot, selbst mit familiären Wurzeln in den Kärntner Nockbergen, schon in ihrer Kindheit. „Die Menschen wussten, mit der Natur zu leben und damit umzugehen.“
“Die Menschen wussten, mit der Natur zu leben und damit umzugehen.”
Auf den Konferenzen des Weltbiodiversitätsrates sind Sie seit Anbeginn als angesehene Expertin präsent. Was macht bzw. was bewirkt der Weltbiodiversitätsrat?
ALICE VADROT: Den Weltbiodiversitätsrat kann man sich wie den Weltklimarat vorstellen, den es seit 1988 gibt. Er gehört zur Familie der Vereinten Nationen mit einem Sekretariat in Deutschland und erstellt Berichte zur Biodiversität, zum Beispiel über den Zusammenhang von Ernährungssicherheit und Bestäubern. Die Staaten handeln die Themen aus, und nach Aufrufen erarbeiten Expert:innen die Berichte. 80 Prozent der Mitarbeitenden werden von staatlichen Institutionen nominiert, 20 Prozent von nicht staatlichen Einrichtungen.
Der Weltbiodiversitätsrat.
Im Jahr 2010 gab die Generalversammlung der Vereinten Nationen grünes Licht für die Schaffung des Weltbiodiversitätsrates IPBES, dem 136 Mitgliedstaaten angehören. Der globale Assessment - Report von IPBES gibt ein alarmierendes Zeugnis vom 6. Massensterben der Erdgeschichte. Jede achte Art ist gefährdet, binnen weniger Jahrzehnte auszusterben, das sind mindestens eine Million Arten.
Aus aller Welt wurden 15.000 Studien zusammengetragen für den ersten Assessment Bericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES). Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse?
Die wichtigsten Erkenntnisse sind, dass bis zu eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind, viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten. Dass das Artensterben heute mindestens zehn- bis einhundertmal höher ist als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre. Dass die Hälfte der lebenden Korallen seit 1870 verschwunden ist und die weltweite Waldfläche nur 68 % im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beträgt. 75 % der Landoberfläche und 66 % der Meeresfläche sind durch menschlichen Einfluss verändert, und über 85 % der Feuchtgebiete sind in den letzten 300 Jahren verloren gegangen.
Das sind alarmierende Fakten. Sie sagen, wir sollten bei Biodiversität viel mehr über Werte reden.
Bei Biodiversität geht es um das Verhältnis Mensch und Natur, aber auch um die Frage, wie wir die unterschiedlichen Interessen und Lebensentwürfe, die Menschen haben, und die Ressourcen, die man dafür braucht, auf einen gemeinsamen Nenner bringen können. Es geht darum, dass die Menschen anerkennen, dass die Natur einen Wert an sich hat und nicht nur einen Wert an Leistung für den Menschen. Würde man den Wert der Beziehung zur Natur in den Vordergrund stellen, dann wäre es auch leichter, das Artensterben aufzuhalten. Im Grunde diskutieren die Menschen dieselben Themen wie der griechische Philosoph Aristoteles. Er sprach schon von der Eudaimonia, dem glücklichen, dem guten Leben, und davon, dass hierbei auch das Gemeinwohl mitgedacht werden muss. Es macht mich sehr traurig zu sehen, dass wir zwar sehr gute Bildungssysteme haben und das wissenschaftliche Verständnis für die Notwendigkeit des Erhalts der Biodiversität gegeben ist, aber Gemeinwohl und Natur sich nicht in Wertefragen zu übersetzen scheinen.
Im Vorjahr wurden in Montreal auf der Konferenz der CBD, der Konvention über die Biologische Vielfalt, erstmals konkrete Ziele für den Erhalt der Biodiversität gesetzt. Was sollen die 30:30:30-Ziele erreichen?
Das bedeutet unter anderem, dass bis zum Jahr 2030 weltweit 30 Prozent der Land- und Meeressysteme unter Schutz gestellt werden sollen. Dabei wurde in Montreal sehr heiß darüber diskutiert, wie man diese Schutzgebiete nicht nur über die nationalen Landflächen und Gewässer erstreckt, sondern auch über die Hohe See.
Apropos Schutzgebiete: Sie haben familiäre Wurzeln in den Kärntner Nockbergen. Wie haben Sie selbst dort Naturnähe von klein auf erfahren?
Ich habe als Kind und Jugendliche viele Sommer und einige Winter auf dem Bauernhof meiner Großeltern, meines Onkels und meiner Tante in Ebene Reichenau verbracht. Wir haben Kühe auf die Alm zur bewirtschafteten Hütte getrieben. Ich habe die Natur immer als Ort der Stille und der Harmonie erlebt. Als Kind aus der Stadt war ich fasziniert vom Wissen meiner Großeltern über die Natur. Meine Großmutter konnte mir alle Pilze erklären, der Großvater hat mir alle Blumen benannt, zum Beispiel den für diese Gegend bekannten echten Speik oder die Arnika, aus deren Blüten es Tee und Salben gab. Die Nockberge sind eine Kulturlandschaft. Die Menschen wussten mit der Natur zu leben und mit ihr umzugehen.
Welche Bedeutung haben Schutzgebiete wie die Nockberge und der Nationalpark Hohe Tauern für die Biodiversität?
Schutzgebiete sind extrem wichtig. Naturschutzgebiete zeichnen das Miteinander von Menschen und Natur aus. Die Nockberge sind einer von vier UNESCO - Biosphärenparks in Österreich - geschützt dank einer Bürgerinitiative vor vielen Jahren. Bei Nationalparks ist auch immer das Konzept wichtig, welches am besten zur bestehenden Landschaft und Gesellschaft passt.
Die Beschlüsse von Montreal fordern weitere Schutzgebiete.
Es geht nicht nur um die Schaffung von Schutzgebieten, sondern mit dem EU Restauration Law auch um die Wiederherstellung beeinträchtigter Ökosysteme.
Was macht Sie in Hinblick auf die Zukunft für die weltweite Entwicklung optimistisch?
Zwei Dinge stimmen mich zuversichtlich. Junge Menschen gehen auf die Straße. Ich bin absolut keine Aktivistin, aber sie zeigen damit, dass ihnen die Natur wichtig ist. Das Zweite ist, dass die internationale Umweltpolitik- als das multilaterale Aushandeln umweltbezogener Konflikte sehr gut funktioniert. Den Staaten ist bewusst, dass zu viel auf dem Spiel steht, wenn sie diese multilateralen Räume aufgeben.
Sie gehören auch dem Österreichischen Biodiversitätsrat an. Wie weit ist in Österreich die Politik von dessen visionären Zielbild entfernt?
Ich glaube, dass das Bewusstsein sehr gestiegen ist. Es gibt einen intensiven Dialog. Das öffentliche Interesse für Biodiversität ist rasant angewachsen. Ich muss auch in meinen Lehrveranstaltungen nicht mehr erklären, was Biodiversität ist. Es gibt ein völlig anderes Verständnis dafür.
Eine starke politische Kraft ist die Zivilgesellschaft, also wir alle. Wie kann sich jede und jeder am besten für die Biodiversität stark machen?
Ich wünsche mir, dass auf lokaler Ebene partizipative Prozesse, vergleichbar mit den Klimaräten, zur Kostenwahrheit und Transparenz in Gemeinden und von Projekten beitragen, und zwar mit einer Kostenwahrheit von Projekten wie Einkaufszentren oder Chaletdörfer auch bezüglich der Umwelt. Ich setze stark auf die Nutzung künstlicher Intelligenz, um zum Beispiel bei Bauprojekten mit digitalen Zwillingen die Folgen für die Umwelt in Szenarien sichtbar zu machen und auch Alternativen in politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Dazu kann man den Bürger:innen an Modellen transparent machen, was das mit der Natur und mit der Gemeinschaft in 50 oder 100 Jahren macht. Das hätte eine gewisse Kraft.
Welches Bewusstsein nehmen Sie in Kärnten für Biodiversität wahr?
Mein Blick auf Kärnten war und ist immer mit der Natur verbunden, ich habe es immer mit einer Liebe zur Natur wahrgenommen, aber auch schon damals hatte mich meine Großmutter auf Veränderungen in der Natur aufmerksam gemacht, die wir heute als Folgen des Klimawandels einordnen.
Seit dem Jahr 2023 ist das Thema „Biodiversität“ Teil der Kommunikationsstrategie der Kärntner Sparkasse sowie der Privatstiftung Kärntner Sparkasse. Warum? Weil wir überzeugt sind, dass die Bewahrung der Biodiversität unerlässlich für die Lebensqualität und den Wohlstand künftiger Generation ist.